March 9 to April 13, 2013

Aleksander Cigale: Bindende Bewegung

 

von Gunter Reski


Ein Ausgangspunkt der Ausstellung von Aleksander Cigale ist ein kleines rundes Ding, das zwischen gitterartig bespannten Schlaginstrumenten hin- und hergescheucht wird. Die besagte Dinglichkeit nennt sich Tennisball. Als heimlicher Protagonist der Ausstellung „Bindende Bewegung“ erscheint der Gegenstand selbst eher wenig involviert in das Bildgeschehen vieler Exponate, für die er wahrscheinlich zu Beginn einer Entscheidungskette ausschlaggebend war. Er glänzt starkfarbig wortwörtlich mit punktueller Anwesenheit und thematischer Abwesenheit.

Genau das macht die Vorgehensweise von Aleksander Cigale irritierend und interessant. Form und Inhalt sind eines der schlimmsten Zwangsbegriffspärchen nicht nur in der Kunstgeschichte, und besonders im Falle der Malerei scheint es schlichtweg unmöglich, sich (idiotischerweise) nicht für eine der beiden Seiten entscheiden zu müssen. Kollege, auf welcher Seite stehst du? Formalismus oder Inhaltismus, und fertig ist der vorformatierte Freundeskreis. Mit dieser Entweder-Oder-Falle – Luxusposter oder Contentwaffel – haben Aleksander Cigales Bilder nichts zu tun. Das riecht schon fast nach Befreiungsschlag. Sie kommen von irgendwo anders her. Es könnte eben mit dem bedeutungs- resistenten Hebel oder der Setzung zur Ausstellung zu tun haben – wie hier eben ein besagter Tennisball. Entscheidend sind die daraus folgenden Ableitungen und Entscheidungsketten. Wie beim Satzbau sind erstes und letztes Wort nicht immer die allerwichtigsten.

Angesichts der großformatigen Bilder kann man gut von untypischer Landschaftsmalerei reden, die neben der kleinen runden Form auch vielen rechten Winkeln Spannungsmomente schenkt. In allen Bildern der Ausstellung wird dem Himmel jeweils viel Platz auf der Bildfläche gewidmet. In drei Großformaten („Wintberge I - III“) sind ursprünglich Zinnen das Hauptmotiv. Jedenfalls bedeutete „Wint“ vor Urzeiten einmal selbiges Ritterburgenmerkmal. Hier überlagern sich einige Erkennungsgewohnheiten angesichts dunkler symmetrischer Quader. Zum einen scheint hier das finale Schwarze Quadrat als ultimatives Klischee jeder Avantgardemalerei durch, weiter ist eine Assoziation mit Computerspielen wie SuperMario ebenso nahe liegend.

 

Diese simultanen Bedeutungslayer funktionieren merkwürdig in bedeutungsoffener und befreiender Indifferenz. Weder kommentiert oder dominiert die eine Konnotierung die andere. Die selten verwendete Maltechnik der Enkaustik ist ausschlaggebend für eine wenig malereilastige Bildoberfläche. Bedingt durch erhitztes Bienenwachs werden die Pigmente gewissermaßen mit eingeschmolzen. Der Farbauftrag kreiert ein quasi eingeschweißtes oder geheimnisvoll eingebettetes Bildgeschehen unter der Oberfläche. In den Bildern „Bindende Bewegung“ und „Wo bleibt deine Puste, wenn du nicht pustest“ kommt so eine brachiale Farbenpracht zur Geltung, die fälschlich eine Lichtquelle hinter dem Bild vermuten lässt. Im erstgenannten Bild spielt sich eine vergleichsweise deutliche Narration ab: Ein kurvig gewachsener junger Baum wird durch einen Stützpfahl per Strick vor weiterem serpentinenartigen Wuchs geschützt beziehungsweise domestiziert, wie immer man will. Das Setting ist in prächtig bonbonartiges Farbglühen getaucht, was der sich anbahnenden Statik eine absurde Dramatik verleiht. Per Leuchtkraft werden essentielle Dinge wie Strick, Ball oder Steinquader nahezu immaterialisiert.

 

Nicht nur zur atmosphärischen Unterfütterung versucht im Gewölbe der Galerie eine Ballwurfmaschine mit ihren Filzgeschossen permanent eine Schlagzeugtrommel zu treffen. Der Titel der Installation „Hicks Boson Beschleuniger“ (1) veranschaulicht nochmals das verblüffende Signifikanten-Pingpong, das Aleksander Cigale mit seinen verzwickten/subtilen Formanalogien betreibt.

 

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(1) Der Titel der Arbeit bezieht sich auf das Higgs-Boson oder Higgs-Teilchen, benannt nach dem Physiker Peter Higgs. Das allgegenwärtige Higgs-Feld gilt als einer der Bausteine des Standardmodells der Teilchenphysik. Higgs‘ Theorie zufolge entspräche das (bis heute nicht nachgewiesene) Higgs-Boson einer quantenmechanischen Anregung des Higgs-Feldes, die sich als Teilchen äußert. Bildhaft ausgedrückt entspricht das Higgs-Feld einer Violinsaite, einem schwingungsfähigen System mit Grundzustand und Vibrationen. Das Higgs-Boson entspricht in diesem Bild dem Vibrationsmuster der Saite, die durch bestimmte Energiezufuhr in charakteristische Schwingung versetzt wurde. (Quelle: Wikipedia)